Gemeinsame Auszeiten schaffen - Betreute Urlaube für Menschen mit Demenz und deren Angehörige

Ca. zwei Drittel der Menschen mit Pflegebedarf werden tagtäglich zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt und unterstützt. Insbesondere die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz birgt für die Betroffenen und ihr Umfeld dauerhafte psychische und physische Belastungen mit nur wenig Raum für Auszeiten. Aufgrund dessen sind Entlastungs- und Unterstützungsangebote – bspw. in Form von „betreuten Urlauben“ – enorm wichtig. Um auch Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen die Möglichkeit eines erholsamen Urlaubs zu ermöglichen, bietet die Alzheimer Gesellschaft Brandenburg e. V. Selbsthilfe Demenz „Betreute Urlaube“ an.

Das Interview führten wir mit Frau Saskia Lück (Kompetenzzentrum Demenz für das Land Brandenburg, Alzheimer Gesellschaft Brandenburg e. V. Selbsthilfe Demenz.)

Direkt springen zu:Direktsprung

1. Wie kam es zur Idee Ihres Angebotes?

In den Urlaub zu fahren, ist für viele Menschen etwas ganz Normales, auf das man sich häufig schon Monate vorher freut. Angehörige von Menschen mit Demenz haben allerdings oft die Erfahrung gemacht, dass ein gemeinsamer Urlaub eher als Belastung erlebt wird und nicht mehr zu der ersehnten Entspannung führt. Nach wie vor wird die Mehrzahl der pflegebedürftigen Menschen mit Demenz zu Hause von Partnerinnen bzw. Partnern und Töchtern sowie Söhnen versorgt. Überwiegend nehmen sie dabei keine professionelle Hilfe in Anspruch. Als Alzheimer-Gesellschaft Brandenburg e. V. Selbsthilfe Demenz wollten wir ein Angebot schaffen, das hier ansetzt. Es geht darum, den Menschen mit Demenz gemeinsam mit ihren Angehörigen einen schönen und erholsamen Urlaub zu bieten. Zugleich möchten wir aufzeigen, welche Hilfs- und Unterstützungsangebote es gibt.

2. Was macht dieses Angebot in Ihren Augen so wichtig?

Wir sind davon überzeugt, dass „Betreute Urlaube“ eine positive Wirkung auf die Teilnehmenden haben: Sie entlasten bzw. stärken Pflegende wie auch Pflegebedürftige und helfen nachhaltig bei der Bewältigung der häuslichen Pflegesituation. Für die „Betreuten Urlaube“ spricht der Kompetenzzuwachs der pflegenden Angehörigen, entweder durch den Erfahrungsaustausch mit anderen Angehörigen oder dadurch, dass sie im Urlaub erleben, wie mit ihren an Demenz erkrankten Angehörigen umgegangen wird. Dadurch erfahren sie Regeneration, Erholung und emotionale Entlastung. Die Urlaube wirken sich nicht nur kurzfristig auf die Erholung der Reiseteilnehmenden aus. Mittel- und langfristig zeigt sich, dass Angehörige verstärkt Leistungen zur Unterstützung in der Pflege in Anspruch nehmen.

3. Gibt es für Sie Kriterien, die einen guten „Betreuten Urlaub“ ausmachen?

Für einen gelingenden Urlaub sind u. a. folgende Punkte entscheidend:

  • das Betreuungsverhältnis, das eine individuelle Begleitung der Personen mit Demenz ermöglicht,
  • eine Angebotsvielfalt innerhalb des Urlaubs und
  • ein Schulungsangebot für die Angehörigen.

Für die Begleitung zweier Menschen mit Demenz steht eine Bezugspflegekraft (1:2-Betreuung) zur Verfügung. Dieser gute Betreuungsschlüssel ermöglicht eine individuelle Betreuung und ist eine Voraussetzung dafür, dass wir uns besonderen Herausforderungen, wie etwa der Begleitung von Menschen mit einer Frontotemporalen Demenz annehmen können. Unser Konzept sieht vor, dass das Pflege- und Betreuungsteam jeden Tag sowohl Angebote an die Urlauberinnen und Urlauber mit Demenz als auch Angebote der Entspannung und Erholung für die mitreisenden Angehörigen anbietet. Den Teilnehmenden wird eine Vielzahl an Ausflügen, Unternehmungen und Musikabenden geboten. Der Besuch in einer Therme, Sauna oder Salzgrotte ist für viele ein absolutes Highlight! Neben Entspannungsangeboten finden Schulungen zum Umgang und zu Entlastungsleistungen statt. Hier stehen Fragen im Mittelpunkt, wie etwa: „Wie geht es zu Hause weiter?“ und „Wie kann ich mich entlasten?“

4. Können auch Betroffene und ihre Angehörigen mit wenig finanziellen Mitteln Ihr Angebot in Anspruch nehmen?

Ja, das ist möglich. Die Pflege- und Betreuungskosten werden den Urlauberinnen und Urlaubern über die Verhinderungspflege und / oder die Entlastungsleistung im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß Sozialgesetzbuch XI erstattet. Kosten für An- und Abreise, Unterkunft, Mahlzeiten, Ausflüge usw. müssen selbst bezahlt werden, wie sonst im Urlaub ja auch. Bei unserem Urlaub zahlt zum Beispiel ein (Ehe-) Paar für 10 Tage mit Vollpension im DZ zusammen 1.300 €. Es gibt Stiftungen, bei denen Pflegende mit geringen finanziellen Mitteln einen finanziellen Zuschuss beantragen können.

5. Bitte nennen Sie uns einmal fördernde sowie hemmende Faktoren bei der Umsetzung Ihres Angebotes.

Die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung sind in den letzten Jahren gestiegen und flexibler geworden. Ein Bespiel dafür ist die Verhinderungspflege. Unter bestimmten Voraussetzungen beträgt sie bis zu 2.418 € und kann für die Pflege- und Betreuungskosten im Urlaub in Anspruch genommen werden. Mit den neuen Pflegestärkungsgesetzen sind neben den Leistungen gleichzeitig die Beratungsbedarfe gestiegen. Damit die Pflegenden von den „Betreuten Urlauben“ wissen und die Konditionen kennen, benötigen wir gute Beratungsstrukturen.

Wir machen keine Werbung für unsere „Betreuten Urlaube“. Trotzdem haben wir viel mehr Nachfragen als Plätze. Gern würden wir unser Angebot erweitern. Hier stoßen wir an unsere personellen und finanziellen Grenzen. Die Kosten für die Organisation, Beratung, Vor- und Nachbereitung und fachliche Leitung in Höhe von ca. 5.000 € für einen durchgeführten Urlaub tragen wir als Alzheimer-Gesellschaft derzeit selbst.

6. Was geben Sie denen mit auf den Weg, die ähnliches planen?

  1. Gestalten Sie die Kosten innerhalb der Verhinderungspflege unabhängig vom Pflegegrad, damit auch (Ehe-)Paare mit höherem Pflegegrad angemessen Entlastung für sich in Anspruch nehmen können. Je höher der Pflegegrad, umso schwerer wird es, die Pflege zu Hause zu leisten. Diesen Menschen sollten wir es nicht schwerer machen, indem die Kosten für die Verhinderungspflege mit jedem Pflegegrad höher werden.
  2. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Teilnehmenden in unseren Urlauben gerne viel Zeit gemeinsam verbringen. Die Angehörigen genießen es aber auch, wenn sie Auszeiten für sich haben und wissen, ihre Partnerin oder ihr Partner wird durch die Bezugspflege gut betreut.
  3. Schrecken Sie nicht davor zurück, Reisende mitzunehmen, die als „herausfordernd“ gelten. Gerade für deren Angehörige ist der „Betreute Urlaub“ ein wichtiges Entlastungsangebot. Dies geht natürlich nur, wenn innerhalb der Gruppe eine gewisse Balance besteht, was den Betreuungsbedarf angeht.
  4. Gehen Sie das Projekt „Betreuter Urlaub“ einfach an. Beginnen Sie evtl. mit einem kurzen Urlaub, mit einer kleinen Gruppe in Ihrer Region. Die Angehörigen werden es Ihnen danken!

Weitere Informationen zum Thema und eine bundesweite Übersicht zu Anbietenden für „Betreute Urlaube“ für interessierte Betroffene und pflegende Angehörige erhalten Sie über die Webseite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz.

Bei weiteren Fragen zum Angebot

Kompetenzzentrum Demenz für das Land Brandenburg
Alzheimer-Gesellschaft Brandenburg e. V. Selbsthilfe Demenz
Stephensonstr. 24-26
14482 Potsdam
Tel.: 0331 / 704 37 49
Mail: 
Web: www.alzheimer-brandenburg.de

Alzheimer Telefon:
Zum Eintrag  in der Projektdatenbank

Allein lebende Demenzkranke – Schulung in der Kommune:
Zum Eintrag in der Projektdatenbank

Gesundheitliche Chancengleichheit

Der Kooperationsverbund wurde 2003 von der BZgA initiiert. Sein zentrales Ziel ist die Stärkung und Verbreitung guter Praxis in Projekten und Maßnahmen der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten.

Zur Webseite