Silbernetz verbindet Menschen

Für ältere Menschen, die jemanden zum Reden brauchen, wurde Silbernetz ins Leben gerufen. Neben einer kostenlosen Hotline zum Anrufen, dem „Silbertelefon“, gibt es noch weitere Unterstützungsangebote für Menschen mit Einsamkeitsgefühlen.

Die Gründerin Elke Schilling gibt einen Überblick zu den Angeboten und berichtet über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im Rahmen der Corona-Pandemie sowie ihre Visionen für die Zukunft.

(Veröffentlichung des Interviews: Dezember 2021)

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1. Was ist Silbernetz und wie kam es zur Idee?

Silbernetz ist ein dreistufiges Angebot per Telefon für ältere Menschen mit Einsamkeitsgefühlen. Es ist angelehnt an die „Silver Line“ aus London – einer Telefonhotline, bei der Menschen anonym anrufen können, um zu reden. Auf dieses Angebot bin ich 2014 gestoßen und habe durch meine langjährige Erfahrung als Seniorenvertreterin und Telefonseelsorgerin in Berlin das Potenzial gesehen, auch bei uns ganz niedrigschwellig etwas gegen die Einsamkeit älterer Menschen tun zu können.

2. Das Angebot von Silbernetz umfasst drei Stufen. Welche sind das und worauf zielen sie ab?

Die erste Stufe ist das Silbertelefon, unsere kostenlose Hotline – mit der Rufnummer 0800-4708090, was im Grunde die Kernzahlen für unsere Zielgruppe sind: 4 70 80 90. Die Hotline ist die gesamte Woche, sieben Tage lang, jeweils von 8.00 bis 22.00 Uhr erreichbar und seit März 2020 sogar bundesweit. Über Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, wird die Hotline bekannt gemacht, denn die meisten, auch isoliert lebenden Älteren, verfügen darüber.

Die zweite Stufe bilden unsere Silbernetz-Freund*innen. Das sind Ehrenamtliche, die auf Wunsch der älteren Anrufenden vermittelt werden, für ein wöchentliches, ca. einstündiges Telefongespräch. Diese Silbernetz-Freundschaften dienen dem Aufbau einer persönlichen Beziehung über das Telefon. Ich bin schon immer erstaunt gewesen, welche Intensität und Nähe über dieses eindimensionale Medium Telefon überhaupt möglich ist. Am Telefon kann man über Dinge reden, über die man mit dem persönlichen Gegenüber nicht sprechen würde. Denn ich habe dann nicht die Möglichkeit, notfalls aus der Situation auszusteigen – ich kann mein Gegenüber ja nicht oder nur schwer rausschmeißen. Am Telefon kann ich jedoch einfach auflegen, wenn es zu intensiv wird oder es mir zu nahe kommt. Ich kriege am Telefon auch keine ungewünschte Hilfe „übergeholfen“. Wenn jemand in meiner Wohnung ist und ggf. meinen „Mangel“ oder meinen Unterstützungsbedarf sieht, will er mir helfen. Diese Anonymität über das Telefon bietet hier eine Schutzfunktion für unsere vulnerable Klientel, die vielleicht vor Hausbesuchen, aufsuchenden Leistungen zurückschrecken. Das kann unterschiedliche Gründe haben: weil sie möglicherweise ihr Zuhause nicht mehr so richtig unter Kontrolle haben oder weil sie einfach Angst vor Besucher*innen haben. Einsamkeit fördert wiederum auch Angst und Isolation. Das ist so ein sich selbst verstärkender Kreislauf.

Und die dritte Stufe ist dann unsere Silberinfo, die als Brücke zwischen den älteren Menschen und konkreten Angeboten vor Ort fungiert. Wir knüpfen eine Verbindung zwischen den Angeboten vor Ort und den älteren Menschen, die sie benötigen und denen sie helfen können. Dazu kooperieren wir mit Anbieter*innen lokaler und regionaler Angebote rund um das Alter, wovon es nicht wenige gibt. Denn oft erreichen diese Angebote gerade diejenigen nicht oder nur unzureichend, die am meisten davon profitieren würden – die Vereinsamten und Isolierten. Unsere Silberinfo bildet hier die Schnittstelle. Durch meine langjährige Tätigkeit als Seniorenvertreterin in Berlin hat sich mir gezeigt, dass ältere Menschen häufig über ein Informationsdefizit verfügen, das ihnen den Zugang zu seniorenspezifischen Angeboten verwehrt – aus verschiedenen Gründen. Barrieren sind beispielsweise unsere latente Altersdiskriminierung, die einen Zugang erschwert, aber auch eine Art Selbstdiskriminierung. Denn viele ältere Menschen haben ebenfalls Vorurteile nach dem Motto: alt ist miserabel, alt redet nur über Krankheit. Und sie kommen dann zum Schluss, dass sie das nicht sind und deshalb kein Angebot (z. B. in der Begegnungsstätte) brauchen. Zudem gehen wir in unserer modernen Medienwelt davon aus, dass jede*r Zugang zum Internet hat und fähig ist, dort zu recherchieren. Der 8. Altersbericht zeigt z. B., dass 37 Prozent der Älteren bis 85 nicht im Internet sind. Und weitere Studien zeigen: je älter, desto weniger Zugang zum Internet. Es gibt zwar ganz fantastische alte Herrschaften, ohne Altersgrenze nach oben, die sich mit der Materie auseinandersetzen und auch auskennen, aber ein Großteil hat keinen Zugang. Und diese beiden Aspekte begünstigen, dass, wie eine Studie aus NRW – die allerdings schon eine Weile zurückliegt – zeigt, 30 bis 40 Prozent der Alten nicht wissen, was es für sie an Angeboten gibt. Hier setzen wir an. Diese Informationslücke wollen wir schließen.

Mit dieser Dreistufigkeit sehen wir uns als Türöffner für lokale Angebote.

3. Mit Blick auf die Good Practice-Kriterien der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung, wie würden Sie die Arbeit der Aktionsgruppe beschreiben?

Ob Partizipation, Zielgruppenorientierung oder Nachhaltigkeit – die Aktionsgruppe lebt den Good Practice-Ansatz in der eigenen Zusammenarbeit unter den Mitgliedern, wie auch in der Erstellung gesundheitsförderlicher Maßnahmen mit Menschen in schwierigen Lebenslagen. Der Grundsatz des Netzwerkes basiert auf einem bedarfsorientierten und partizipativen Ansatz (z. B. Erstellen des Protokolls durch Mitglieder rotierend, gemeinsame Planung des Programmes für nächste Treffen, Wahl der Leitung aus Mitgliedern). Es werden die wichtigsten Stakeholder sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in alle Planungsprozesse mit einbezogen. Die Zielgruppe der älteren Personen selbst ist auch im Rahmen des Mitgliederkreises vertreten. Dies ermöglicht einen direkten Einblick in die aktuellen Problemlagen vor Ort.

4. Können Sie uns konkrete Beispiele für entwickelte und umgesetzte Maßnahmen geben, die auf die Gesundheitsförderung älterer Menschen in der Oberpfalz abzielen?

Die Maßnahmen der einzelnen Mitglieder reichen vom Bürgerbus bis hin zur Gestaltung von Nachmittagen für Seniorinnen und Senioren zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe in der eigenen Kommune. Gerade in Zeiten von COVID-19 steht das Thema „Digitale Souveränität“ von Älteren im Vordergrund. Hierzu hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die niedrigschwellige Angebote für Ältere in der Oberpfalz entwickelt, um damit die digitale Souveränität und somit die Gesundheitskompetenz der Älteren nachhaltig zu stärken. Einige Mitglieder geben aktuell gezielt 1:1-Laptop- und Tablet-Schulungen für Seniorinnen und Senioren vor Ort. Andere kümmern sich darum, dass Geräte niedrigschwellig zur Verfügung gestellt werden – denn das sind oft schon die ersten Hürden, welche in der Arbeit mit Älteren überwunden werden müssen.

5. Welchen besonderen Herausforderungen und Chancen sieht sich die Aktionsgruppe gegenüber – insbesondere in der aktuellen Pandemie-Situation?

Gesundheitliche Chancengleichheit ist ein herausforderndes, jedoch auch chancenreiches Themenfeld. Bereits kleine Schritte müssen insbesondere in der Arbeit mit Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen (z. B. alleinlebende Seniorinnen und Senioren auf dem Land) als große Erfolge gesehen werden. Es gilt, diejenigen zu erreichen, die sonst nicht oder nur selten erreicht werden – und das ist eine große Herausforderung, welche die Mitglieder und auch uns dazu auffordert, oftmals auf Umwegen ans Ziel zu gelangen. Gerade unter COVID-19 sind die älteren Menschen von der gesellschaftlichen Isolation besonders hart betroffen. Da sie zusätzlich eine Risikogruppe darstellen, können die Vorhaben der Mitglieder nicht mehr in der gewohnten Weise umgesetzt werden. Die Chancen liegen vor allem darin, dass die intensive Zusammenarbeit der Mitglieder dazu geführt hat, dass das Netzwerk auch in Krisenzeiten als großer Mehrwert und Motivationsfaktor gesehen wird – es bleibt also weiterhin aktionsreich!

Bei weiteren Fragen zum Angebot

Silbernetz e. V.
Elke Schilling, Gründerin Silbernetz
Wollankstraße 97
13359 Berlin
Telefon: 0151 1931 7050
Mail: kontakt(at)silbernetz.de

Zum Eintrag in der Projektdatenbank

Zum Artikel auf www.gesundheitliche-chancengleichheit.de

Gesundheitliche Chancengleichheit

Der Kooperationsverbund wurde 2003 von der BZgA initiiert. Sein zentrales Ziel ist die Stärkung und Verbreitung guter Praxis in Projekten und Maßnahmen der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten.

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